Wie prägten die türkischen Gastarbeiter Deutschland? 60 Jahre Anwerbeabkommen | Terra X

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28 Oct 202116:11

Summary

TLDRDas Video skizziert die Geschichte der türkischen 'Gastarbeiter' in Deutschland ab 1961, als die Bundesrepublik Arbeitskräfte suchte und die Türkei eine wirtschaftliche Lösung benötigte. Es zeigt die Anwerbung, die Erwartungen, die Realität des harten Arbeitslebens und die Herausforderungen der Integration. Von Anfangsversteck und familiärer Bindung bis hin zur heutigen Wahrnehmung als integraler Bestandteil der Gesellschaft, spiegelt es die Entwicklung der deutsch-türkischen Beziehungen und die Suche nach Anerkennung und Wertschätzung wider.

Takeaways

  • ✈️ Deutschland begann 1961 offiziell mit der Anwerbung türkischer Arbeitskräfte.
  • 📚 In den 60er Jahren lebten zwei Drittel der türkischen Bevölkerung auf dem Land, und mehr als die Hälfte waren Analphabeten.
  • 🚜 Die Mechanisierung der Landwirtschaft in der Türkei führte zu Arbeitsplatzverlusten und einer Abwanderung in die Städte.
  • 🚗 In Deutschland herrschte in den 50er Jahren Wohlstand, aber es fehlte an Arbeitskräften, was zu Anwerbeabkommen mit Südeuropa führte.
  • 🤝 Am 30. Oktober 1961 wurde das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei unterzeichnet, mit dem besonderen Rotationsprinzip.
  • 🏢 Die türkischen Gastarbeiter kamen aus verschiedenen Regionen, auch aus großen Städten wie Istanbul und Ankara, und oft mit Berufsausbildung.
  • 🚆 Die Reise der Gastarbeiter nach Deutschland begann in Istanbul und führte sie mit Sonderzügen nach München.
  • 🎉 Der Empfang in Deutschland war anfangs festlich, aber das Leben der Gastarbeiter war oft von harter Arbeit und Isolation geprägt.
  • 🏠 Integration war anfangs kaum vorgesehen; Gastarbeiter lebten oft isoliert und hatten wenig Zugang zu Sprachkursen oder Integrationsmaßnahmen.
  • 👨‍👩‍👧‍👦 Mit der Zeit folgten viele Familien den Gastarbeitern nach Deutschland, und seit 1964 war der Familiennachzug erlaubt.

Q & A

  • Wann wurde das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei unterzeichnet?

    -Das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 unterzeichnet.

  • Was war das Hauptmotiv für die türkische Arbeitskräfte, nach Deutschland zu kommen?

    -Das Hauptmotiv für die türkische Arbeitskräfte, nach Deutschland zu kommen, war die Möglichkeit, mehr Geld für die gleiche Arbeit zu verdienen.

  • Wie viele Menschen bewarben sich in den Jahren nach dem Anwerbeabkommen auf einen Arbeitsplatz in Deutschland?

    -Mehr als zweieinhalb Millionen Männer und Frauen bewarben sich in den kommenden Jahren um einen Arbeitsplatz in Deutschland.

  • Wie viele der Bewerber wurden tatsächlich nach Deutschland genommen?

    -Nur knapp ein Viertel der Bewerber wurde nach Deutschland genommen.

  • Was war das sogenannte Rotationsprinzip im Anwerbeabkommen mit der Türkei?

    -Das Rotationsprinzip besagte, dass die Menschen eigentlich nach zwei Jahren zurück in die Türkei zurückkehren sollten, um mit den gewonnenen Kenntnissen im Wirtschaftsstandort Bundesrepublik zurückzukehren.

  • Wie wurde die Integration der Gastarbeiter in Deutschland in den 1960er Jahren betrachtet?

    -Zu Beginn der 1960er Jahre wurde die Integration der Gastarbeiter relativ tolerant betrachtet, mit Einrichtungen wie Gebetsräumen in Firmen und speziellen Kantinenessen ohne Schweinefleisch. Allerdings gab es auch Ablehnung und mangelnde Integrationsmaßnahmen.

  • Welche Rolle spielten die Gastarbeiter im deutschen Arbeitsmarkt?

    -Die Gastarbeiter übernahmen eine Vielzahl von Tätigkeiten, insbesondere in Bereichen, in denen Arbeitskräfte fehlten. Sie wurden im Dienstleistungssektor und in der Industrie zu einer festen Größe.

  • Welche Auswirkungen hatte die Wirtschaftskrise von 1973 auf die Gastarbeiter in Deutschland?

    -Die Wirtschaftskrise von 1973 führte zu einem Anwerbestopp für Gastarbeiter in Deutschland. Viele, die bereits in Deutschland waren, blieben jedoch, da die Anreize in der Heimat schwach waren.

  • Was war die Haltung der deutschen Gesellschaft gegenüber der Beschäftigung von Gastarbeitern in den 1960er Jahren?

    -Laut einer Umfrage von 1965 war jeder zweite Deutsche gegen die Beschäftigung von Gastarbeitern in der Bundesrepublik, während nur gut ein Viertel klar dafür war.

  • Wie hat die deutsche Gesellschaft auf die Anschläge von Mölln und Solingen reagiert?

    -Die Anschläge von Mölln und Solingen haben die deutsche Gesellschaft erschüttert und zu spontanen Großdemonstrationen gegen Fremdenhass geführt. Auch die Politik reagierte und begann, Deutschland als Einwanderungsland zu betrachten.

  • Wie viele Menschen mit türkischen Wurzeln leben heute in Deutschland?

    -Heute leben in Deutschland knapp drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, darunter viele ehemalige Gastarbeiter und ihre Familien.

Outlines

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🌍 Ankunft der Gastarbeiter in Deutschland

Der erste Absatz beschreibt den Beginn der Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für die Bundesrepublik Deutschland im Herbst 1961. Es wird dargestellt, wie die Türkei zu einem Land im Wandel wurde, mit einer zunehmend modernen Stadtgesellschaft, aber auch mit einer Landbevölkerung, die von der Landflucht betroffen war. Die Bundesrepublik, im Kontrast dazu, erlebte das Wirtschaftwunder und brauchte Arbeitskräfte, was die Anwerbung aus Südeuropa und schließlich auch aus der Türkei nach sich zog. Das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei wurde am 30. Oktober 1961 abgeschlossen und schuf eine sogenannte Rotation, bei der die Arbeiter nach zwei Jahren zurück in die Türkei zurückkehren sollten. Die Aussicht auf Arbeit in Deutschland lockte über zweieinhalb Millionen Menschen an, von denen jedoch nur ein Viertel aufgenommen wurden. Die zukünftigen Gastarbeiter kamen hauptsächlich aus großen Städten wie Istanbul und Ankara und waren oft gut ausgebildet. Ihre Ankunft in Deutschland war ein großes Ereignis, das mit einer Blaskapelle in München empfangen wurde, aber die Freude sollte nicht lange andauern.

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🏭 Das Leben der Gastarbeiter in Deutschland

Der zweite Absatz konzentriert sich auf das Leben der Gastarbeiter in Deutschland. Sie wurden von der deutschen Bevölkerung meist abgelehnt, und es gab nur wenige Integrationsmaßnahmen. Die Arbeitgeber schätzten jedoch ihre Fleißigkeit. Die Gastarbeiter lebten oft abgeschottet in Betrieben und Wohnheimen, und Familiennachzug war zu Beginn nicht erlaubt. Ihr verdientes Geld floss zurück in die Türkei und wurde dort zu einer wichtigen Wirtschaftskraft. Die Gastarbeiter übernahmen auch Aufgaben im Dienstleistungssektor und wurden unverzichtbar im deutschen Alltag. Der Begriff 'Gastarbeiter' wird kritisch hinterfragt, und es wird auf die damalige Haltung der Gesellschaft eingegangen, die sie bestenfalls geduldete. 1973 kam es zu einer Verschärfung der Stimmung, als der Spiegel von 'Ghettos in Deutschland' sprach und die Wirtschaftskrise zu einem Anwerbestopp für Gastarbeiter führte. Die Familien der Gastarbeiter, die nach Deutschland kamen, waren oft nicht willkommen, und es gab eine starke Ablehnung von einer Einwanderungsgesellschaft.

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📚 Integration und Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit

Der dritte Absatz thematisiert die Herausforderungen der Integration und den Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit. Günter Wallraffs Buch 'Ganz unten' enthüllte die Missstände, unter denen Gastarbeiter zu leben hatten, und löste eine Öffentlichkeitsdebatte aus. Die Toleranz gegenüber den Gastarbeitern, die in den 60er Jahren noch vorhanden war, verschwand im Laufe der Zeit, insbesondere nach der Iranischen Revolution 1979 und der Wende in Osteuropa. Die Zuwanderung von Menschen aus dem Osten und Asylsuchenden führte zu wachsenden Ängsten und Fremdenfeindlichkeit, die in gewalttätigen Aktionen in verschiedenen deutschen Städten gipfelten. Die Anschläge von Mölln und Solingen waren die traurigen Höhepunkte dieser Gewalt. Diese Ereignisse führten jedoch auch zu einem Erwachen der Gesellschaft und politischen Maßnahmen, die die Integration förderten. Deutschland bezeichnete sich 1999 erstmals als Einwanderungsland und begann, die Integration von Menschen mit türkischen Wurzeln zu fördern.

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🤝 Anerkennung und Zukunft der Integration

Der vierte und letzte Absatz reflektiert über die Anerkennung der Gastarbeiter und ihres Beitrags zum Wirtschaftswunder und zur heutigen Vielfalt Deutschlands. Es wird auf die Bedeutung der Integration und die Notwendigkeit, die gleichen Chancen und den gleichen Wert für alle zu schaffen, hingewiesen. Die Zufriedenheit der türkischstämmigen Menschen in Deutschland und ihre Wahrnehmung der Integration wird durch Umfragen und persönliche Aussagen belegt. Die politische Anerkennung als Einwanderungsland und die heutige Wahrnehmung der türkischstämmigen Menschen in der Gesellschaft zeigen, dass die Integration ein laufender Prozess ist, der anerkannt und weiter gefördert werden muss. Es wird nach weiteren Schritten und der Anerkennung der Gastarbeiter und ihrer Nachfahren in der Geschichte Deutschlands gefragt.

Mindmap

Keywords

💡Gastarbeiter

Die 'Gastarbeiter' bezeichnete eine Gruppe von Arbeitnehmern, die in den 1960er und 1970er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen, um Arbeit zu suchen und zur Arbeitsmarktversorgung beizutragen. Im Video wird dieses Konzept als Kernthema behandelt, das die Erfahrungen und Herausforderungen dieser Menschen in Deutschland umfasst. Ein Beispiel aus dem Skript: 'Was erwartet die sogenannten „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik?'

💡Anwerbeabkommen

Ein 'Anwerbeabkommen' ist ein zwischen Staaten geschlossener Vertrag, der die organisierte Einwanderung von Arbeitnehmern für bestimmte Zeiten und Bedingungen regelt. Im Kontext des Videos bezieht sich das auf das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei am 30. Oktober 1961, das den offiziellen Beginn der Gastarbeiter-Bewegung markierte.

💡Wirtschaftswunder

Das 'Wirtschaftswunder', auch als 'Wirtschaftswunderland' bezeichnet, beschreibt die rapide wirtschaftliche Expansion, die Deutschland in den 1950er Jahren erlebte. Im Video wird es als Hintergrund für die Arbeitskräftebedarfe Deutschlands dargestellt, die die Einladung von Gastarbeitern nach sich zogen: 'Im „Wirtschaftswunderland“ bringen die 50er Jahre Wohlstand für alle.'

💡Rotationsprinzip

Das 'Rotationsprinzip' war eine Bestimmung im Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei, nach der die Gastarbeiter nach zwei Jahren in Deutschland zurück in ihre Heimat zurückkehren sollten. Es sollte sicherstellen, dass die Arbeitnehmer ihre im Ausland erworbenen Kenntnisse in der Türkei anwenden konnten. Ein Beispiel aus dem Skript: 'Dass es das sogenannte Rotationsprinzip gab und die Menschen eigentlich nach zwei Jahren zurückkehren sollten.'

💡Fremdenfeindlichkeit

Unter 'Fremdenfeindlichkeit' versteht man die Abneigung oder sogar Hass gegen Menschen, die als 'fremd' oder 'nicht zu uns gehörend' angesehen werden. Im Video wird dies als eine der Herausforderungen thematisiert, denen die Gastarbeiter in Deutschland ausgesetzt waren, wie in der Passage: 'Die Anschläge von Mölln und Solingen sind die traurigen Höhepunkte fremdenfeindlicher Gewalt.'

💡Familiennachzug

Der 'Familiennachzug' bezieht sich auf die Möglichkeit, dass Familienangehörige von Einwanderern in das Land einreisen und dort leben können, in dem der ursprüngliche Einwanderer arbeitet. Im Video wird erwähnt, dass dieser erst 1964 für türkische Gastarbeiter erlaubt wurde, was zu einer dauerhafteren Ansiedlung beitrug: 'Längst folgen Ehepartner und Kinder ihren Angehörigen nach Deutschland – seit 1964 ist auch türkischen Gastarbeitern der Familiennachzug erlaubt.'

💡Einwanderungsland

Ein 'Einwanderungsland' ist ein Staat, der eine offene Einwanderungspolitik verfolgt oder ein Land, in dem eine große Zahl von Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen lebt. Im Video wird Deutschland erstmals 1999 als solches bezeichnet, was eine offizielle Anerkennung der Einwanderungsgesellschaft darstellt: 'Deutschland bezeichnet sich 1999 erstmals offiziell als Einwanderungsland.'

💡Integration

Die 'Integration' bezieht sich auf den Prozess, bei dem sich Menschen aus verschiedenen kulturellen Hintergründen in die Gesellschaft eines anderen Landes einbringen und akzeptiert werden. Im Video wird dies als ein kontinuierlicher Prozess dargestellt, der Sprache, Bildung und den Arbeitsmarkt umfasst: 'Integration funktioniert nur, indem man sich auf etwas Neues einlässt, beidseitig, aber indem man eben auch bereit ist, etwas Neues aufzunehmen.'

💡Anerkennung

Die 'Anerkennung' bedeutet, dass die Beiträge und Leistungen von Personen oder Gruppen anerkannt und geschätzt werden. Im Video wird dies als eine offene Wünsche formuliert, dass die Gastarbeiter und ihre Nachkommen für ihre Rolle im deutschen Wirtschaftswunder anerkannt werden: 'Anerkennung und Wertschätzung, das würde ich mir schon wünschen.'

💡Ghettos

Ein 'Ghetto' ist ein sozial und wirtschaftlich benachteiligtes Stadtviertel, in dem hauptsächlich Menschen einer bestimmten Gruppe leben. Im Video wird auf die damalige Wahrnehmung von bestimmten Einwanderervierteln als 'Ghettos in Deutschland' hingewiesen, was die damalige soziale Isolation und Diskriminierung illustriert: '1973 kippt die Stimmung: „Ghettos in Deutschland. Eine Million Türken“, titelt der Spiegel.'

Highlights

Deutschland wirbt ab 1961 offiziell um türkische Arbeitskräfte.

Die Türkei im 60er Jahre: Großstädte entwickeln sich, Landbevölkerung ist arbeitslos.

Mechanisierung kostet Landarbeiterplätze, junge Menschen suchen Arbeit in der Stadt.

Bundesrepublik Deutschland erleben 'Wirtschaftswunder', fehlen Arbeitskräfte.

Anwerbeabkommen mit Italien, Griechenland, Spanien und der Türkei, um Arbeitskräfte zu gewinnen.

Türkei drängt auf Anwerbeabkommen, um Arbeitsmarkt zu entlasten.

Anwerbeabkommen mit der Türkei vom 30. Oktober 1961, Rotationsprinzip für zwei Jahre.

Zweieinhalb Millionen Menschen bewerben sich für Arbeitsplätze in Deutschland.

Gastarbeiter kommen hauptsächlich aus großen Städten wie Istanbul, mit Berufsausbildung.

Anwerbekommissionen in Istanbul, deutsche Unternehmer zahlen 'Kopfgeld' für Arbeiter.

Gastarbeiter sollen sich den Frauen nicht 'ungebührende Weise' nähern, sollen fleißig arbeiten.

Sonderzüge von Istanbul nach München, Empfang mit Blaskapelle.

Gastarbeiter berichten von Wohlstand in Deutschland, locken mehr Menschen an.

Leben der Gastarbeiter beschränkt auf Arbeit, Arbeitgeber schätzen ihren Fleiß.

Öffentlichkeit lehnt Beschäftigung von Gastarbeitern ab, Integrationsmaßnahmen fehlen.

Familiennachzug für Gastarbeiter, trotzdem kein Einwanderungsland.

Gastarbeiter und ihre Kinder in Deutschland, trotzdem das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Günter Wallraffs 'Ganz unten' enthüllt Missstände bei Gastarbeitern.

Fremdenfeindliche Gewalt in den 90er Jahren, Anschläge in Mölln und Solingen.

Deutschland bezeichnet sich 1999 offiziell als Einwanderungsland.

Heute leben fast drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland.

38% der Deutschen sehen türkischstämmige als gut integriert, 60% der Deutschtürken fühlen sich gut integriert.

Integration erfordert gemeinsame Wertvorstellungen und Anerkennung der Gastarbeiter.

Transcripts

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Ankunft in Almanya! Ab Herbst 1961 wirbt Deutschland ganz offiziell um türkische Arbeitskräfte.

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Was erwartet die sogenannten „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik? Und wie prägen sie das Land bis heute?

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Die Türkei, Anfang der 60er Jahre. Ein Land im Umbruch: Die Großstädte entwickeln sich zu modernen Metropolen.

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Aber zwei Drittel der Bevölkerung leben auf dem Land. Mehr als die Hälfte der Menschen sind Analphabeten.

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Die zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft kostet Jobs.

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Immer mehr junge Menschen suchen daher Arbeit in der Stadt.

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Ganz anders die Bundesrepublik: Im „Wirtschaftswunderland“ bringen die 50er Jahre Wohlstand für alle.

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Der „Käfer“ wird zum Symbol einer einzigartigen Erfolgsstory.

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Das Problem: Arbeitskräfte fehlen. Die Lösung liegt in Südeuropa.

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1955 schließt Deutschland ein Anwerbeabkommen mit Italien. Verträge mit Griechenland und Spanien folgen.

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Auch die Türkei drängt auf ein Abkommen.

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"Die Bundesrepublik reagierte sehr zögerlich auf die Gesuche der Türkei, ein Anwerbeabkommen zu schließen.

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Es gibt Quellen, die darauf hindeuten, dass die Türkei deutlich gemacht hat, dass sie als Nato-Partner ebenso wie Griechenland, die beiden Länder waren zeitgleich der NATO beigetreten,

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als eine Art zu Rückstufung hinter Griechenland verstehen würde, wenn die Bundesrepublik mit Griechenland ein Anwerbeabkommen schließt, aber nicht mit der Türkei."

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Trotz Bedenken - die Bundesrepublik braucht so viele Arbeitskräfte wie möglich.

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Ohne Gastarbeiter käme der westdeutsche Aufschwung schnell ins Stocken.

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Für die Türkei eine willkommene Chance:

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"Die Türkei geriet in eine wirtschaftliche Schieflage, die Arbeitslosenzahlen anders als in der Bundesrepublik stiegen.

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Und deswegen gab es auch ein Eigeninteresse der Türkei, den eigenen Arbeitsmarkt zu entlasten."

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Am 30 Oktober 1961 wird das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei besiegelt.

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Es entspricht den zuvor geschlossenen Abkommen.

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Mit einer Ausnahme: "Das war eine Besonderheit des Anwerbeabkommen mit der Türkei.

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Dass es das sogenannte Rotationsprinzip gab und die Menschen eigentlich nach zwei Jahren zurückkehren sollten,

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da die Türkei tatsächlich auch ein Interesse daran hatte, dass die Arbeitskräfte mit gewonnenen Kenntnissen im Wirtschaftsstandort Bundesrepublik zurückkehren würden.

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War das eigentlich eine Win-Win-Situation."

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Die Chance auf Arbeit in Deutschland spricht sich schnell herum.

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"Mein Vater kam mit 23 und hat damals in der Türkei schon unter Tage gearbeitet und hat von diesem Anwerbeabkommen gehört.

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Und es war der hauptsächliche Grund war, mehr Geld verdienen für die gleiche Arbeit, wo man mehr verdient einfach."

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Der Andrang ist dementsprechend groß:

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Über zweieinhalb Millionen Männer und Frauen bewerben sich in den kommenden Jahren um einen Arbeitsplatz in Deutschland. Nur knapp ein Viertel wird genommen.

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"Das Klischee des türkischen Gastarbeiters, das wir kennen, ist ja, dass des Analphabeten des Landarbeiters aus dem ländlichen Anatolien.

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Aber es ist tatsächlich so, dass gerade aus den großen Städten, aus Istanbul, aus Ankara, viele junge Menschen, auch viele junge Frauen,

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die eine einschlägige Berufsausbildung hatten, sich anwerben ließen mit dem Ziel,

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kurzfristig in der Bundesrepublik zu arbeiten, Geld zu verdienen und dann vielleicht auch zurückzukehren."

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Erste Station der zukünftigen Gastarbeiter sind die Anwerbekommissionen in Istanbul.

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Deutsche Unternehmer zahlen den Kommissaren vor Ort „Kopfgeld“ für jeden vermittelten Arbeiter.

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Entsprechend streng ist die Musterung: Die Bewerber müssen gesund sein, Lesen und Schreiben können.

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Die intime ärztliche Untersuchung: Für viele die erste in ihrem Leben.

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Verhaltensregeln für das Leben in Almanya:

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Die Männer sollen sich den Frauen nicht auf „ungebührende Weise“, nähern und vor allem: fleißig arbeiten.

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Zweimal pro Woche fahren die Sonderzüge von Istanbul nach München.

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"Als man dann in München ankam, an diesem berühmten Gleis 11, wurde man mit Blaskapelle damals noch empfangen.

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Das war schon für diese Menschen auch ein besonderes Ereignis."

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Doch die festliche Stimmung ist nicht von Dauer.

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Der Traum vom besseren Leben hat sie in die Fremde geführt. Vieles hier ist für die Neuankömmlinge neu und exotisch – auch für Nail, dem Vater von Serap Güler.

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"Das erste Mal im Leben eine Rolltreppe gesehen, was sich unsereiner jetzt irgendwie gar nicht vorstellen kann.

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Was ist daran so besonders? Aber das erste Mal im Leben eine Banane gegessen oder auch so Geschichten wie dann hat man dieses Begrüßungsgeld ja auch bekommen.

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Hatte dann 20 Mark in der Tasche und konnte mit diesen 20 Mark aber überhaupt nichts anfangen, weil man ja nicht wusste, was kostet was in diesem Land."

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Was die Gastarbeiter in die alte Heimat berichten, wirkt wie eine Verheißung: immer mehr Menschen machen sich auf den Weg nach Deutschland.

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"Die Vorstellungen von Deutschland in der Türkei waren von großen Idealen geprägt.

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Man sprach von einem Wirtschaftswunderland, die Wirtschaft in der Bundesrepublik prosperiert. Die Leute konnten sich Autos leisten, Kühlschränke.

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Und das ist das Bild, das transportiert wurde, auch von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern, die zuerst in die Türkei kamen,

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die dann im Sommer besucht, natürlich auch versucht haben, diese Bilder von Wohlstand und Aufstieg zu reproduzieren."

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Das Leben der meisten Gastarbeiter beschränkt sich auf die Arbeit.

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Zur Freude der Arbeitgeber, die angetan sind vom Fleiß ihrer neuen Angestellten.

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Aus der Bevölkerung aber schlägt ihnen vorwiegend Ablehnung entgegen.

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Laut Umfrage von 1965 ist jeder zweite Deutsche gegen die Beschäftigung von Gastarbeitern in der Bundesrepublik. Nur gut ein Viertel ist klar dafür.

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Die türkischen Arbeiter sind bestenfalls geduldet und bleiben unter sich.

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"Die Annahme, dass der Aufenthalt in der Bundesrepublik auf Zeit sein würde, hatte Konsequenzen auf beiden Seiten.

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Also von der bundesdeutschen Politik war es sicherlich so, dass im Vergleich zu heute relativ wenig Integrationsmaßnahmen geboten wurden.

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Es gab kaum flächendeckende Sprachkurse, die Leute waren ja gerufen worden, um zu arbeiten und mit dieser Annahme behandelte man sie auch."

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Sie leben abgeschottet in Betrieben und Wohnheimen, Familiennachzug ist zunächst nicht gestattet.

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Ihr hart verdientes Geld fließt in Form von Devisen zurück in die Heimat und wird zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in der Türkei.

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Türkische Arbeitskräfte übernehmen immer mehr Tätigkeiten auch im Dienstleistungssektor.

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Aus dem deutschen Arbeitsalltag sind die „GAST“-Arbeiter nicht mehr wegzudenken.

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"Eigentlich kann, glaube ich, nur ein Land wie Deutschland auf diese Idee kommen, so ein Wort zu kreieren.

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Woanders würde man Gäste nicht arbeiten lassen. Mir ist natürlich der historische Bezug bekannt.

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Man wollte das Wort Fremdarbeiter vermeiden. Zu Recht. Aber ob es unbedingt hätte Gastarbeiter sein müssen, ist es heute schon die große Frage?

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Ich finde, ich finde ihn unpassend. Ich benutze ihn selbst auch, weil die Generation sich selbst auch immer so bezeichnet hat. Wir Gastarbeiter."

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1973 kippt die Stimmung: „Ghettos in Deutschland. Eine Million Türken“, titelt der Spiegel.

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Dazu kommt: die Bundesrepublik steckt in einer Wirtschaftskrise und verhängt einen Anwerbestopp für Gastarbeiter.

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Wer bereits in Deutschland ist, bleibt trotzdem häufig hier – zu schwach sind die Anreize in der alten Heimat.

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"Anders als in Ländern wie Portugal, Spanien oder Griechenland, wo es in den 70er Jahren Demokratisierungsprozesse gab, wo Diktaturen endeten, war die Situation in der Türkei weiterhin undurchsichtig."

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Längst folgen Ehepartner und Kinder ihren Angehörigen nach Deutschland – seit 1964 ist auch türkischen Gastarbeitern der Familiennachzug erlaubt.

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Doch Deutschland will kein Einwanderungsland sein. Es bleibt ein Neben- und kein Miteinander.

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Eine Emnid-Umfrage in der Bundesrepublik aus dem Jahr 1979 ergibt:

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Nur ein Drittel der Deutschen könnte sich einen ausländischen Schwiegersohn oder eine ausländische Schwiegertochter vorstellen.

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Für gut 60 Prozent der Deutschen käme dies allerdings nicht in Frage.

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Und auch in den Schulen ergibt sich ein erschreckend eindeutiges Bild.

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"Wir hatten in den 80er Jahren, das ist ja jetzt auch die Zeit, wo ich groß geworden bin, noch sogenannte Türkenklassen im Ruhrgebiet.

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Auch das waren Klassen, wo die Schulen gesagt haben, da stecken alle türkischen Kinder rein

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und dann gibt es diesen türkischen Lehrer, der vom türkischen Generalkonsulat entsandt wurde,

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um sie auf ihre Resozialisation in der Türkei vorzubereiten, weil die Kinder werden ja nicht hierbleiben."

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Auch viele der türkischen Arbeitnehmer werden schlecht behandelt.

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Im Oktober ’85 erscheint ein Buch, das Missstände aufdeckt.

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Günter Wallraffs Erfahrungsbericht „Ganz unten“ wird zum Bestseller.

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Zwei Jahre arbeitet Wallraff undercover als vermeintlicher türkischer Gastarbeiter:

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Ohne Schutzkleidung, ohne Krankenversicherung, für einen Hungerlohn.

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Wie seine ausländischen Kollegen wohnt er in heruntergekommenen Baracken – zu Wucherpreisen.

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"In dem Moment, wo Günter Wallraff überhaupt transparent macht, unter welchen Bedingungen und mit welchen Widrigkeiten,

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mit welchen rassistischen Vorurteilen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter dann auch in den 1980er Jahren noch zu kämpfen hatten,

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ging ein Ruck und wirklich ein Erwachen durch die deutsche Gesellschaft."

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Gegenüber den fremden Gesängen der „Mohammedaner“, wie sie damals überwiegend genannt werden, gibt man sich zu Beginn der 60er Jahre tolerant.

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Firmen richten Gebetsräume ein, es gibt Kantinenessen ohne Schweinefleisch. Erste Moscheen werden gebaut.

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Im Februar 1965 dürfen die Gastarbeiter sogar ihr traditionelles Ramadan-Gebet im Kölner Dom abhalten.

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Die Harmonie hält nicht lange an. Die Iranische Revolution 1979 und die steigende Zahl von Asylsuchenden lassen die Stimmung bald kippen.

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Ende der 80er verschärft der Fall des Eisernen Vorhangs die Situation:

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Die Zahl der Zuwanderungen steigt damals auf über 400.000 pro Jahr. Und schürt Ängste bei den wiedervereinigten Deutschen.

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Nährboden für radikales Gedankengut. Die Rechtsradikalen haben starken Zulauf.

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Der Hass auf alles Fremde entlädt sich in gewalttätigen Aktionen gegen ausländische, meist muslimische Einwanderer.

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Brandsätze und Steine fliegen, zunächst vor allem im Osten Deutschlands, in Hoyerswerda und Rostock.

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Mölln, November 1992. Bei einem Brandanschlag sterben drei Menschen. Darunter zwei türkische Mädchen, zehn und vierzehn Jahre alt.

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Nur 5 Monate später brennt ein Haus in Solingen. Fünf Menschen sterben.

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"Man hat irgendwie immer gedacht: Okay, das passiert im Osten, das passiert in Mölln, das ist alles weit weg.

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Im Ruhrgebiet ist das noch mal eine andere Welt. Und dann war Solingen aber doch so nah dran. Und das war tatsächlich dann ernsthaft.

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Also nicht immer dieses: Wenn dein Vater in Rente kehrt, sondern verlassen wir jetzt dieses Land, weil wir könnten die nächsten sein.

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Und da war wirklich Angst. Da war ganz viel Angst, was tief saß, da war Schock, da war dieses Gefühl. Wir sind hier nicht gewollt.

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Ich glaube, das erste Mal so richtig bewusst in den Köpfen angekommen, was uns als junge Menschen, als Kinder natürlich unheimlich geprägt hat."

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Die Anschläge von Mölln und Solingen sind die traurigen Höhepunkte fremdenfeindlicher Gewalt.

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Zugleich rütteln sie die Deutschen wach.

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Überall finden spontane Großdemonstrationen gegen Fremdenhass statt.

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Auch die Politik lenkt ein: Deutschland bezeichnet sich 1999 erstmals offiziell als Einwanderungsland.

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Heute leben hierzulande knapp drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Darunter Hunderttausende ehemalige Gastarbeiter und ihre Familien.

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Die Frage der Rückkehr stellt sich für die meisten längst nicht mehr.

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Die Kinder, Enkel und Urenkel der Gastarbeiter sind in Deutschland zur Welt gekommen – die Türkei kennen viele nur aus Besuchen in den Ferien.

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Doch allzu oft bleibt noch immer das Gefühl, nicht dazuzugehören, nicht die gleichen Chancen zu erhalten.

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"Wir haben eine dritte, teilweise vierte Generation, die extrem oder viel stärker das Gefühl hat, benachteiligt zu werden, als das zu meiner Zeit noch war.

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Was einfach damit zu tun hatte, dass wir uns ja nicht als Teil dieses Landes gefühlt haben.

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Wir wussten, wir sind Ausländer, wir gehören nicht wirklich dazu und hatten dementsprechend auch den Platz gar nicht am Tisch in der Gesellschaft, sondern außerhalb für uns selbst erkoren.

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Und diese Generation sieht das ja gottseidank anders."

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Längst sind sie fester Bestandteil der Republik.

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38 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass die in Deutschland lebenden türkischstämmigen gut oder sogar sehr gut integriert sind.

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Von sich selbst sagen sogar zwei Drittel der befragten Deutschtürken, dass sie sich gut oder sogar sehr gut integriert fühlen.

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"Integration funktioniert nur, indem man sich auf etwas Neues einlässt, beidseitig, aber indem man eben auch bereit ist, etwas Neues aufzunehmen.

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Und das hat viel mit Sprache zu tun. Das hat viel mit Zugängen zu tun, den Zugang in den Arbeitsmarkt, den Zugang zum Bildungswesen

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und was wir vielleicht als Integrationspolitiker lange, lange Zeit auch nicht gefordert bzw. gar nicht thematisiert haben. Das hat auch mit gleichem Werten zu tun."

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60 Jahre nach Inkrafttreten des Anwerbeabkommens bleiben noch Wünsche offen.

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"Anerkennung und Wertschätzung, das würde ich mir schon wünschen.

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Dass man anerkennt, dass diese Menschen ein Teil des Wirtschaftswunders sind, ein Teil dieser Geschichte sind

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und auch ihre Nachfahren und sie selbst viel dazu beigetragen haben, dass dieses Land heute so ist, wie es ist. Vielfältig, stark."

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Was denkt ihr: Wie hat das Anwerbeabkommen mit der Türkei Deutschland geprägt? Ist die Leistung der türkischen Arbeiter genügend gewürdigt worden?

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